Gib auf! Schmeiß hin! Lass es sein! Hui, das klingt ungewohnt oder? Vor allem von einem Coach, der doch auf Deiner Seite steht und Dich anfeuern soll. Auf Instagram klingt das meistens auch eher anders: Never give up, don’t be a quitter, bloß nicht aufgeben. Die Durchhalteparolen sind endlos. Ich finde: totaler Quatsch.

An dieser Stelle muss ich mein provokantes Statement erstmal ein bisschen relativieren (sorry for the clickbait). Denn natürlich gibt es auch in meinen Augen Situationen, in denen es sich lohnt dranzubleiben, Geduld zu haben, manchmal sogar etwas zähneknirschend durchzustehen. Aber der große Unterschied zwischen mir und Instagram: Ich finde, Weitermachen ist kein Wert in sich. Durchziehen ist nicht immer zwingend besser als Aufgeben. Darüber redet aber kaum jemand. Es wird uns so verkauft, als wäre es immer gut und richtig dranzubleiben. Bloß nicht aufhören. Denn das wäre ja aufgeben und aufgeben liegt nah an verlieren, scheitern, es nicht geschafft haben. Das sind übrigens alles Begriffe bzw. Konzepte, die ich kritisch sehe.

Bei Instagram hat mir eine Followerin ein tolles, nämlich ganz einfaches Beispiel geschickt: es falle ihr oft schwer, ein Buch einfach zur Seite zu legen und nicht fertig zu lesen, obwohl es ihr nicht gefällt. Sie vermutet dahinter Glaubenssätze wie „Was Du angefangen hast, musst Du auch fertig machen.“ So ein schönes Beispiel. Wir lassen uns von einem inneren Dogma unsere Zeit stehlen und ärgern uns im schlimmsten Fall hinterher über uns selbst. Wie schade! Doch wie kann man diese Glaubenssätze auflösen? Zuallererst mal würde ich Dich dazu einladen, das Wörtchen „muss“ in Deinem inneren Monolog nochmal eingehend auf den Prüfstand zu stellen. Und dann darfst Du Dich fragen: Und was, wenn nicht? Was passiert denn, wenn ich das Buch nicht beende? Sagt das etwas über mich, meinen Charakter und meine Lebenseinstellung aus? Glaubenssätze bleiben ja meistens bei einer verkürzten Aussage stehen. Es kann sich lohnen, diese oft etwas verqueren Postulate einfach mal zu Ende zu denken, um sie zu entschärfen.

Besonders knifflig wird es häufig bei den größeren Lebensentscheidungen: zum Beispiel im Job, beim Thema Wohnort oder was zwischenmenschliche Beziehungen angeht. Eine andere Followerin hat mir geschrieben: „Ich kann super schlecht Menschen aufgeben, die mir nicht gut tun. Ich denke immer, da wird noch etwas Gutes kommen und dann werde ich immer wieder enttäuscht.“ Dieses Gefühl kennen sicher viele von uns. Und hier den richtigen Weg zu finden ist alles andere als einfach. Aber allein die Zuschreibung „Beziehungen, die mir nicht gut tun“ macht mich hellhörig. Denn dass wir uns im Kontakt oder nach dem Kontakt mit bestimmten Menschen immer wieder schlecht, angestrengt, leer fühlen, merken wir wahrscheinlich recht deutlich. Man darf sich diese Dynamik in Ruhe anschauen, auch über Jahre und Monate. Wenn der Eindruck bleibt und sich verfestigt, darf man aber auch irgendwann Konsequenzen daraus ziehen.

Kommen wir zurück zum Spannungsfeld zwischen Aufgeben und Weitermachen. Was mir daran besonders wichtig ist: Das eine ist nicht per se besser as das andere. Weitermachen ist kein Wert in sich, nicht moralisch überlegen. Es hängt einzig und allein vom Kontext ab. Gradmesser sind dabei Dein Bauchgefühl, wie gut Du Dich lesen kannst und wie ehrlich Du zu Dir bist. Möchte ich gerade abbrechen, weil die Situation mich überfordert, anstrengt, mir Angst macht? Oder ist es einfach nicht das Richtige für mich? Möchte ich gerade da bleiben, weil es einfacher ist, besser aussieht, von mir erwartet wird? Oder weil ich einen Wert darin sehe? Diese Fragen kannst nur Du Dir beantworten.

Ich finde, Aufgeben ist oft ein Gewinn. Du stehst für Dich und Deine Bedürfnisse ein, wenn Du eine ungute Situation verlässt. Du verschwendest Deine Energie und Deine Aufmerksamkeit nicht an etwas, das gar nicht zu Dir passt, Das macht Dich frei für einen anderen Weg, Auch dafür gebe ich Dir ein Beispiel: Eine Klientin hat mir letztens erzählt, wie sie nach nur drei Tagen ihren neuen Job geschmissen hat, auf den sie viel gesetzt und für den sie extra in eine andere Stadt gezogen war. Sie hat sofort gemerkt, dass es nicht passte – und diesen Schritt hat sie nie bereut. Für jemand anders mit einer anderen Gefühlslage wäre es vielleicht besser gewesen, erstmal abzuwarten und sich einzugrooven. Aber nicht für sie. Und was am Ende zutrifft, kann nur jeder selbst erfühlen.